2022 –  benthos borborygmi

2022 – benthos borborygmi

Angebot | Offer   Michael Kutschbach – benthos borborygmi* 21. Januar – 5. März 2022 Nach zweimaliger pandemiebedingter Verschiebung – Michael Kutschbach lebt seit Jahren wieder in Adelaide/Australien – wird das jüngste Werk des Künstlers in seiner Ausstellung...

2017 – Flovien Ffollies

2017 – Flovien Ffollies

Michael Kutschbach – flovien Ffollies20.1. – 4.3.2017 Der australische, in Berlin lebende Künstler Michael Kutschbach zeigt in seiner Einzelausstellung bei Semjon Contemporary Kunstwerke seiner 2013 begonnenen Werkgruppe flovien Ffollies. Besucher der Kunstmessen Art...

2011 – hoi polloi

2011 – hoi polloi

Michael Kutschbach – hoi polloi 2.9. – 1.10.2011 Die Galerie Semjon Contemporary eröffnet am 2. September 2011 mit der Einzelausstellung »hoi polloi« des australischen, in Berlin lebenden Künstlers Michael Kutschbach. Seine die Genres übergreifenden Kunstwerke...

Michael Kutschbachs – mad odor roses

Fix und Flux

Schwebend, ohne Fundament präsentieren sich die Formballungen der Fotoserie mad odor roses (2013) von Michael Kutschbach. Sie sind Resultate eines geglückten Moments, in dem sich Blickwinkel, Beleuchtung und atmosphärische Absichten zu einer harmonischen Bildganzheit fügen und sich künstlerischer Gestaltungswille in höchster Verdichtung manifestiert. Kristallines in alabasterfarbener Eleganz gesellt sich neben Biomorphem in strahlender Farbopulenz, ein Möbiusband umschlingt organisch anmutende Konglomerate in metallischer Mattheit, und Konstruktionen in technoider Präzision verbinden sich mit oberflächigen Unebenheiten, Verläufen und Eintrübungen. Als „Kombinationen aus Faustkeil und Weltraumschrott“ mag der Betrachter diese Formationen wahrnehmen und sie zwischen „einem kulturellen Hochgefühl und dem Erlebnis der Deformation“ ansiedeln,[1] und doch entziehen sie sich der Wiedererkennbarkeit und dokumentieren vielmehr die Lust an der spielerisch-explorativen Erkundung unbestimmten Formenterrains.

Setzt Kutschbach in seinen Studioaufnahmen Licht wie bei einer Porträtaufnahme ein, um den Gebilden ihr jeweils unverwechselbares ´Gesicht´ zu verleihen – von weich gestreut durch Frontallicht bis modulierend durch seitliche Punktstrahler – so soll der Betrachter indes nicht über den Effekt in die illusionistische Falle gelockt werden. Was wir hier sehen ist Handwerk im wörtlichen Sinne: So wenig die Fotografien im Nachgang digital bearbeitet sind und sich alleine der aufnahmetechnischen Versiertheit verdanken, so sehr sind auch ihre Bildgegenstände das Ergebnis plastischer Handarbeit. Der Künstler hat sie als autonome Kleinplastiken geschaffen, teils aus Gips geformt, teils aus verschiedenen Materialien – Schaum, gefundenen Objekten, Klebstoffen und den Hinterlassenschaften großzügiger Farbüberzüge – zu kompakten, hier zentral in den Blick gerückten Unikaten zusammengefügt. Vergegenwärtigt man sich die haptische Qualität der Plastiken in ihrer Dreidimensionalität, so vermag auch das Atmosphärische zu Leben erweckt werden, das in Form wabernder Nebelschwaden ein Moment des Diffusen und Enigmatischen erzeugt, wenn nicht gar eine Irritation beim Betrachter hervorruft. Dieses Moment des Zusammentreffens disparater Zustände, wenn sich Festes und Unbewegtes mit Gasförmigem, Bewegtem amalgamiert und der jeweils eine Zustand zum integralen Bestandteil des anderen wird, hat Kutschbach buchstäblich festgehalten, indem er ihn in den zweidimensionalen Bildträger gebannt hat.

Als singuläre Ensembles sinnlich eindrücklicher Phänomene beruhen die so fixierten Erscheinungsbilder auf unwiederholbaren Inszenierungen. Die Konturlosigkeit und Unkontrollierbarkeit des Dampfes und seine Verflüchtigung im Raum verstärkt rein visuell den Schwebezustand des festen Materials. Und hier kommt nun doch die Illusion ins Spiel. Der Künstler führt uns beiläufig und bildhaft vor Augen, was das Bild als solches zu leisten vermag und was der Trägheit der Plastik verwehrt bleibt: die Aufhebung der Schwerkraft. Die Unwiederholbarkeit der Inszenierung wie auch die Unantastbarkeit des ephemeren Stoffs wird dabei mit ihrer fotografischen Fixierung durchkreuzt. Experimentiert hat Kutschbach mit den Potenzialen des Ephemeren bereits in früheren Arbeiten, etwa in der Videoarbeit gimble in the wabe (2011), in dem die Eigenheiten des sich verflüchtigenden Stoffes mit den filmischen Techniken der Verlangsamung und Beschleunigung visuell in die Dimension der Zeit eingebettet wird.[2]

Seit den späten 1960er Jahren gehört die Auseinandersetzung mit den Aggregatzuständen zum etablierten und programmatischen Repertoire künstlerischer Fragestellungen. Die Verwandlungen und Rückverwandlungen von Erstarrtem in Fließendes, von Kaltem in Warmes, von Anorganischem in Organisches, von Ungeformtem in Geformtes haben vielgestaltige künstlerische Ausdrucksweisen gefunden. Sie befragen im Hin- und Herpendeln zwischen dem Ephemeren und dem Konkreten die existenziellen und materialen Prozesse von Übergängen und Metamorphosen. Bekanntlich wurden die Dampfinstallationen von Robert Morris 1967 nicht zur New York Sculpture Exhibitionzugelassen, weil sie mit ihrem Anti-Form-Konzept nicht der gängigen Vorstellung der Bildhauerei entsprachen. 1984 installierte Joseph Beuys indes sein Thermisch-plastisches Urmeter in der Baseler Ausstellung Skulptur im 20. Jahrhundert. Die dynamischen und energetischen Aspekte von Dampf sollte er dabei als Metapher für das Denken begreifen und in seine Idee der sozialen Plastik integrieren.[3] Der Einsatz des Gasförmigen war und ist vornehmlich für jene Künstler von Bedeutung, die die traditionellen Bildgattungen verlassen und eine prozessuale, vom Material her bestimmte Kunst entwickeln. Dampf erscheint als „intelligenter“ Stoff, weil er seine Volumenbildung ganz ohne künstlerisches Zutun entfaltet und darüber hinaus die traditionelle Priorisierung der Form überwindet.

Das Prozessuale gehört auch in Michael Kutschbachs künstlerischer Arbeit zu den elementaren Prinzipien, wenn nämlich transformative Kräfte verwendeter Materialien und Oberflächen visualisiert werden. Weniger als Kreator seiner Werke verstehe er seine Rolle als Künstler, als vielmehr als Initiator selbst ablaufender, produktiver Vorgänge.[4]In einem eigenen Werkkomplex, den Zeichnungen, wird das Fließen und Arretieren im steten Changieren zwischen Formverweigerung und Formfindung zum modus operandi. Die „Prozesszeichnungen“, wie Kutschbach sie nennt, sind Resultate des Zeichnens, Verwischens, Ausradierens, Kratzens, Schabens und steten Überzeichnens in einer Art und Weise, dass die vorgängigen Linien sichtbar bleiben, vielleicht einem Palimpsest vergleichbar, bei dem die Spuren des Originaltextes erhalten geblieben sind. Der Prozess des beharrlichen Aufbringens und Löschens von Linien, Konturen und Schattierungen entspringt weniger einer obsessiv-aggressiven Geste als vielmehr einer archäologischen Praxis, mit deren langwierigen Arbeitsvorgängen die zuletzt gefundene Form aus den unbewussten Schichten des Künstlers gleichsam herausgeschält wird. Wie in Ausgrabungen die durch Erosion und tektonische Einbrüche geformten Gesteinsschichten Vorhergegangenes sichtbar werden lassen, führen die Kratzspuren und vorgängigen Linien auf den Blättern gleich Pfaden zu einem unerschöpflichen Formenfundus. Auch hier geht es wieder um die Bannung des Ephemeren und Transitorischen ins Bild, um die allmähliche Verwandlung von Grafitstaub in wundersam-schnittige und elegante Formverdichtungen, die in ihrer Präzision und Klarheit wie Fragmente größerer Zusammenhänge in die Welt gekommen sind.

Präsenz und Verschwinden sind mithin Komponenten in der Präsentationsweise der Serie mad odor roses. Auf drei mal drei Meter große Wandtapeten, die in ausschnitthaften Vergrößerungen das faszinierende Formenrepertoire seiner plastischen Objekte näher an das Betrachterauge heranrücken, hat Kutschbach sie gehängt. Das Bild auf dem Bild verliert in camouflierender Wirkung zwar seine Prägnanz. Im Mit- und Zueinander von Ganzem und Detail und ihrem phänomenalen Zusammenwirken widerstrebt die Installation allerdings avantgardistischen Überzeugungen, wonach Ganzheiten anschaulich nicht mehr gegeben sind. Mikro- und Makrobild haben in Kutschbachs Arbeiten verweisenden Charakter. Die Gestaltung von Raumsituationen, in denen sich kleinformatige Zeichnungen in ihren gigantisch vergrößerten Widerparts auf Wänden wiederfinden, in denen raumfüllende Wandverkleidungen, die nah am Dekorativen und Ornamentalen Figurenwelten plastischer Arbeiten aufgreifen und – wie in der aktuellen Arbeit – in denen Fototapeten, die alleine durch ihre schiere Größe zu einem Eintreten in das Werk einladen, implizieren zugleich das Heraustreten aus dem Bild, das Zurücktreten vor dem Werk und die Distanznahme zum Medium, denn nur so können Teil und Ganzes erfahren werden.

Zum „work in progress“ gehören auch Titelfindungen, die Paul Klee mit ihren evokativen und vieldeutigen Bedeutungsübergängen einmal treffend als „sprachliche Schwebungen“ bezeichnet hat. Und so appelliert auch der widersinnige Titel mad odor roses nicht etwa an die olfaktorische Wahrnehmung des Betrachters, sondern dient der poetisch-humorvollen Verschlüsselung. Die Serie ist eine Hommage an einen Künstler, dessen Name sich anagrammatisch in der Titulierung verbirgt: Medardo Rosso. Die Aufhebung der Gattungsgrenzen zwischen Malerei, Skulptur und Fotografie kennzeichnet das künstlerische Schaffen des italienischen Bildhauers, dessen Ringen um einen stimmigen Ausdruck für die Flüchtigkeit von Erscheinungen ein grandioses Gesamtœuvre hervorgebracht hat. Scheinbar schwebende, konturlose Porträts und nahezu in Auflösung begriffene Bildnisköpfe bevölkern das Gestaltenpantheon Rossos, während sich die bildhafte Verschmelzung von Figur und Raum kontrapunktisch in seinen Fotografien ereignet. Kutschbach bringt eine weitere Referenzfigur für seine Werke ins Spiel, wenn er in gleicher Weise die Tituli der einzelnen Fotografien wohlklingend komponiert: Strong-Minded Kiosk Roach, Thick-Skinned Orgasm Odor, Rest Room Dockhand Skiing usw. Auch sie sind Anagramme, entwickelt aus den beiden Namen Medardo Rosso und Nick Knight. Ekstatisch und exzentrisch sind die Modefotografien Knights, das Moment des Transitorischen verbindet ihn wiederum mit dem Pionier der Moderne. Kutschbachs Titel entspringen der Lust des Künstlers an alogischen Kalauern, Nonsense-Gedichten und Palindromen und lassen mit dem überbordenden Ertrag entfesselten Fabulierens eine scheinbare Systematik entstehen. Alles andere als explikatorische Absichten stecken hinter diesen Werktiteln, sie fungieren vielmehr als Parallelen zum bildnerischen Werk und weisen auf die Unmöglichkeit, sich, sein Werk oder Kunst schlechthin zu erklären.

Was in Michael Kutschbachs Arbeiten zusammenwirkt, ist dialektisch auf verschiedenen Ebenen: Formbares und Formloses, Spontanes und Konzeptuelles, Fassbares und Unfassbares, Sinnliches und Begriffliches, Intuition und Ratio. Die Möglichkeit der Kunst, die Dinge zu verkehren, Gegenstrebiges zusammenzufügen und Zustände zu transformieren, ist in seinem Werk mit einer Klarheit, Stille und Tiefe verbunden, die den Betrachter für Momente in Regionen des Kontemplativen und der Unbeschwertheit zu geleiten vermögen.
Judith Elisabeth Weiss

[1] Vgl. Christoph Tannert, „Harmonieentwürfe in Mikro und Makro“, in: Michael Kutschbach, Callooh! Callay!, Ausst. Kat. Künstlerhaus Bethanien, Berlin 2010, o. S.

[2] Siehe zu dieser Video-Arbeit das Interview mit Michael Kutschbach in: Sculpture and the Enemies Magazine, Juli-September 2011, Sydney, S. 28-32.

[3] Siehe Theodora Vischer, „Joseph Beuys. Thermisch-plastisches Urmeter – ein Spätwerk“, in: Volker Harlan u.a. (Hg.), Joseph Beuys-Tagung, Basel 1991, S. 214-219.

[4] Siehe zum Aspekt der Transformation Varga Hosseini, „Surface in Flux: Michael Kutschbach“, in: Australian Art Collector, Issue 34 (Oktober/November), Sydney 2005, S. 241; zur Rolle des Künstlers siehe Interview (wie Anm. 2).

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