Ursula Sax – Blauer Salon
1.12.2017 – 20.1.2018

Ursula Sax zeigt in ihrer Einzelausstellung Blauer Salon eine Reihe neuer Hänge- und Wandskulpturen, die Teil einer aktuellen Werkreihe sind.
Als Präludium könnte man Blauer Vogel begreifen. Die vier Meter lange Hängeskulptur hatte 2016 den Straßen-Salon der Galerie dominiert und die Konfrontation mit dem engen Raum hat der Skulptur eine ganz eigene Präsenz verschafft. Es birgt in sich die Erfahrung des Archetypus eines aerodynamisch geformten Flugobjektes und reduziert formal die Form auf das Entscheidende: Heck (Schnauze), Rumpf und Flügel.
Das Prinzip der Faltung und Ausklappung von aus der Grundform einer Aluminiumplatte geschnittenen Teilformen hat die Künstlerin bereits in den 80er Jahren angewandt, wenn auch bei diesen ein weicher und organischer Schwung augenfällig ist. Der gelbe Derwisch von 1988 aus Aluminium mag ein Beispiel dafür sein oder die neun Meter hohe Hängeskulptur für das Treppenauge des Stuttgarter Bundespostsozialamtes.

In ihren aktuellen Werken reduziert Ursula Sax die Formen zumeist streng geometrisch, wobei die Radikalität gebrochen wird durch die seltene Existenz von rechten Winkeln. Aus einer scheinbar hochrechteckigen Platte vermag sie durch die bewusste Entscheidung für die Aufhebung des rechten Winkels eine in sich spannungsreiche Form zu entwickeln. Das Auge ist aufgrund des Verlustes des haltgebenden 45°-Winkels irritiert und man versucht, die Kontur zu begreifen. Der rechte Winkel steht für Ruhe und Sicherheit, weil er Teil unseres tradierten Formschatzes ist. Wenn die Künstlerin nun ausgeschnittene Teilformen an beiden Seiten der flachen Grundplatte ausklappen lässt, erobert sie gleichzeitig den Raum, öffnet und dynamisiert die starre Platte, die sie in ihrer vertikal hängenden Ausrichtung Tafel nennt. Kantet sie die Tafel schräg über die Fläche, entsteht eine dreidimensionale unsymmetrische Hängeskulptur, wie z. B. bei Dach oder Haus. Das Einschneiden von nicht rechtwinkligen Formen, die nach außen hin ausgeklappt werden, bewirkt eine Steigerung der Dynamik. Die Skulptur erfährt eine sich stetig ändernde Erscheinungsform, die typisch in dem plastischen Werk der Sax ist. Die Künstlerin begnügt sich nicht mit einer Hauptansicht, sondern versucht das plastische Gebilde nach allen Seiten hin sich ausdehnen zu lassen.

Diese Auffassung von Skulptur, deren Ausdehnen in den Raum, zeigt sie bereits spätestens in den frühen 70er Jahren. Der noch immer aktuelle und frische, nicht realisierte Entwurf Modell für eine Großplastik von 1974 für die Kreuzbauten (Ministerien) in der ehemaligen bundesdeutschen Hauptstadt Bonn führt diese bereits vor, nur sind die geschwungenen, Richard Serra fünf Jahre vorwegnehmende Großformen (bei einer Länge von bis zu 35 m!) aufgebrochen und lassen die tentakelartigen Auskragungen parallel der Grundbewegung wellenartig sich ausdehnen. Nach wie vor hat dieses nie realisierte Werk eine ungeheure auratische Kraft. Es als einen (Stadt-)Raum definierendes großplastisches Werk erstehen zu lassen, ist nach wie vor das Interesse der Künstlerin und ihres Galeristen…

Die Inszenierung der neuen Werke im Galerieraum ist ein spannendes Unterfangen, denn die Positionierung der zumeist enzianblau pulverbeschichteten Hängeskulpturen bedarf einer sorgfältigen Abstimmung untereinander. Jede Skulptur im Raum verändert diesen und verlangt eine ausgewogene Platzierung im Verhältnis zu den anderen Werken.

Die Farbe Enzianblau prägt diese Ausstellung. Das für Ursula Sax so typische Signalgelb (vgl. Looping, ihre bekannteste öffentliche Stadtraumskulptur) bekommt eine weitere Signaturfarbe zugesellt. Der Ausstellungstitel Blauer Salon spielt selbstbewusst auf Gegebenheiten in der Kunstgeschichte an und kann als visuelles Manifest gelesen werden, dass die Sax ihre über sechzig Jahre andauernde Erfahrung als Bildhauerin in der Minimierung und Radikalisierung der Formen einschreibt, ohne – wie bei all ihren Werken – sich die Freiheit nehmen zu lassen, das vermeintlich Bekannte ein wenig gegen den Strich zu bürsten

Semjon H. N. Semjon
November 2017

 
 
 
 
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