Karina Spechter – German Angst
(19.10. – 17.11.2012)

Selten imaginiert man bei der Betrachtung eines Kunstwerkes den Schaffensprozess in solch verdichteter Form: In Karina Spechters Objekten wird spürbar, dass sie dem Leben abgerungen sind. Geburt und Tod, Freiheit und Zwang, Mut und Angst liegen dicht beieinander. Die erarbeiteten, reduzierten Formen bündeln die Lebenserfahrung zu einem Bildzeichen, das, einmal gesehen, nicht mehr aus dem Kopf geht. Die Kraft der Reduktion lässt eine starke Präsenz der Form im Raum entstehen, die durch das plastische Aufbrechen einer schwer zu definierenden, unruhig, ja aggressiv wirkenden, mit tausenden Spitzen applizierter Kleinformen präsenten All-Over-Struktur verstärkt wird: Auf den ersten Blick umschreiben Kontur und Volumen eine deutlich raumgreifende Grundform des ObjektKörpers, die sich jedoch gleichzeitig durch die Vielteiligkeit der Gesamtoberfläche nicht präzise fassen lässt. Das Auge, dadurch unwillkürlich angezogen, tastet die Kleinformen ab, sucht Halt und findet ihn nicht, entfernt sich wieder, um das Objekt in Gänze zu erfassen und verliert sich wieder im Detail. Der auf die Gesamtform gebündelte Blick wird durch die filigrane, vibrierende Oberfläche zerstreut, nach außen und letztlich auf einen selbst zurückgeleitet. So entsteht ein beinahe paradoxes Wechselspiel unterschiedlichster Wahrnehmungs- und Deutungsperspektiven.
Die Objektfarbe schließlich, die bei Karina Spechter grundsätzlich als Symbolfarbe zu verstehen ist, kann für zusätzliche Irritation sorgen. Dass die Künstlerin für mehrere ihrer neuesten Arbeiten zum Thema „German Angst” statt des bisher überwiegenden (und sich beinahe aufdrängenden) Schwarz ein glühend leuchtend blutiges Rot verwendet, unterstützt die geradezu vexierhafte Spannung, die ihren „Bildwerken” innewohnt. Karina Spechter stellt in ihrer Ausstellung neue Arbeiten vor, die um universale Themen des Menschseins wie Vergänglichkeit, Furcht und Tod kreisen. Ihre Objekte und ihre Installation sind formgewordene Erinnerungen, die in Bildzeichen münden, welche durch Reduktion auf ihr Wesen allgemeingültig werden. Sie sind keine toten Zeichen für das menschliche Leben in seinen vielfältigen Erfahrungszuständen, sondern kraftvolle, präsente und ausdrucksstarke Bildwerke dafür. Diese plastischen Bilder sind ‘beseelt’. Die Behauptung der Künstlerin bleibt zeitlos spürbar.

Semjon H. N. Semjon, Berlin im Oktober 2012

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